Gesundheit von Lehrern

(Norbert Hirschmann)
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Die gegenwärtige Diskussion um die Gesundheit bzw. über Burnout der Lehrkräfte hat v.a. finanzpolitische Gründe. Aber können ausgebrannte, resignierte und überforderte Lehrkräfte die erzieherischen und unterrichtlichen Anforderungen erfüllen, die die Gesellschaft und die Schule nach TIMMS und PISA, aber auch nach den Ereignissen von Freising und Erfurt an sie stellt?
Die bildungs- und finanzpolitischen Entscheidungen dieser Tage (Reduzierung vielfältiger altersbezogener Ausgleichsmaßnahmen) erschwert gerade älteren Lehrkräften – und das Durchschnittsalter der Kollegien wird immer höher! – das Erreichen der regulären Pensionsaltersgrenze.

Dennoch gründet eine Offensive gegen berufliche Überlastung immer auf zwei Strategien:
Verhältnisprävention – Schaffung von gesundheits-adäquaten Arbeitsbedingungen, Reduzierung schädigender physischer und psychischer Faktoren innerhalb der Schule – und Verhaltensprävention –Ausbildung und Unterstützung gesundheitsfördernder Verhaltensweisen des einzelnen Lehrers; Sensibilisierung gegenüber Stressbedingungen, Aneignung von vorbeugenden Strategien (Salutogenese) zur Gesunderhaltung.


1. Finanz- und personalpolitische Fakten
  • Die Lehrkräfte werden aufgrund steigender Belastungen immer kränker.
  • Wegen Dienstunfähigkeit scheiden 62% der Lehrkräfte vorzeitig aus (zum Vergleich: 27% im Vollzugsdienst, 39% im übrigen öffentlichen Dienst)
  • Die Dienstunfähigkeitsquote unterscheidet sich nach den Schularten: 47% an GY, 69% an GS,HS,SoS
  • Fast die Hälfte der Frühpensionierungen erfolgt wegen psychischer bzw. psychosomatischer Leiden.
  • Die hohe Frühpensionierungsquote verursacht in Bayern jährlich 71000 Ersatz-Lehrergehälter – Präventionsmaßnahmen „zahlen sich aus“!

    2. Arbeitsmedizinische und psychologische Forschung
    • 1973 – Studie von Knight-Wegenstein: Befragung von mehr als 9000 hessischen Lehrern
    • 1993 – Prof. Müller-Limmroth (München): Vielfalt von Belastungsgrößen führt zu hohen permanenten Stressreaktionen.  Belastung vs. Beanspruchung.
    • 1996 – Prof. Schaarschmidt (Potsdam): Diagnostik zur Differenzierung beruflichen Bewältigungsverhaltens AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster)
    • 2001 – Weber, Weltle, Lederer (Erlangen):    Untersuchung aller bayer. Dienstunfähigkeits-Begutachtungen (N = 7103) innerhalb von 4 Jahren
    • Prof. Sieland (Lüneburg): Wichtigkeit der Lehrerbildung für die Burnout-Prävention (BEIL, KESS, CCT)
    • Fast jeder dritte Lehrer in Deutschland fühlt sich „ausgebrannt“, ein weiteres Drittel hält sich für „überfordert“ (SCHAARSCHMIDT)
    • Dienstunfähigkeit in 46% aller Fälle aufgrund psychischer bzw. psychosomatischer Erkrankungen (WEBER)
    • durchschnittl. Zeitpunkt der Untersuchung auf Dienstunfähigkeit innerhalb von 10 Jahren zwei Jahre früher: um das 53.Lebensjahr (WEBER)


    Erstdiagnosen von Lehrkräften in psychosomatischen Kliniken (Kuraufenthalt – HILLERT):
    • 65% Depressionen
    • 9% Angst
    • 12% somatoforme Symptome (z.B. Schmerzen)
    • 7% Essstörungen
    • 18% Tinnitus

    Belastungen, die als besonders intensiv registriert werden:
    • Klima im Kollegium
    • Kompetenz der Führungspersonen
    • Fehlen von Entlastungsstunden
    • Erholungswert der Unterrichtspausen
    • Vereinsamung; fehlende Supervision (SIELAND/SCHAARSCHMIDT)


    Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 9,25 Std. stellt hohe physische (Muskel- und Skelett, Stimme, Kreislauf, Lärm, Klimafaktoren) und psychische (Zeitdruck der Tätigkeiten, multiple Reaktionsbereitschaft, Informations-Input/Output, fehlende Erholungszeiten) Belastungen dar, die zum permanenten Dissstress-Zustand führen. (MÜLLER-LIMMROTH)
    Belastungen wirken sich besonders intensiv aus, wenn
    • das Privatleben durch häufige Konflikte beeinträchtigt ist,
    • der berufliche Perfektionsanspruch hoch ist,das persönliche Leitbild der Realität nicht entspricht. (SIELAND)

    Die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen ist bedenklich:
    • 10-12% der Grundschulkinder haben Entwicklungsprobleme (im Leistungs-,     Wahrnehmungs-, Gefühls- oder  Kontaktbereich),im Jugendalter steigt dieser Anteil auf 15–20% .
    • 7–10% haben chronische Krankheiten (Allergien, Diabetes, Bronchitis, Epilepsie, Krebs, Herzkrankheiten).
    • Das Suchtverhalten (Nikotin, Alkohol…) steigt besorgniserregend.
    • Haltungs- und Ernährungskrankheiten sind häufig.


    Modellprojekte „Lehrergesundheit“
    Auf Initiative des Bayerischen Landtags hat das Kultusministerium mit Beginn des Schuljahres 2002 in drei Regierungsbezirken (Mittelfranken, Niederbayern, Oberpfalz) Modellprojekte eingerichtet. Sie stellen Angebote zur Gesundheitsvorsorge (Prävention) und zum Umgang mit beruflichen Belastungen (Intervention) für alle Lehrkräfte aller Schularten bereit.

    Die angebotenen Fortbildungen decken ein breites Spektrum ab:
    • Supervision und Coaching
    • Gesprächskreise, kollegiale Fallbesprechung
    • Umgang mit Konflikten, Mobbing und Krisen
    • Stressmanagement und Salutogenese
    • Individuelle Beratung
    • Schulentwicklung:
    • Projekt „Gesunde Schule“ / Teamentwicklung
    • Angebote zur Lehrerausbildung und zum Praktikum


    INFORMATIONEN ZUM AUTOR:
    Dipl.-Psych Norbert Hirschmann
    Supervisor, Familientherapeut,
    Staatl. Schulpsychologe
    Region. Schulentwicklungsberater
    Goethe-Gymnasium Regensburg
    Goethe-Str.1
    93049 Regensburg
    Koordinator des Modellprojekts „Lehrergesundheit“ in der Oberpfalz,
    Tel. 0941/507-4066; Fax -4071
    e-Mail: n.hirschmann@t-online.de